10 Oktober 2007

Als A sprechen lernte

Weil ich zwar bloggen, aber nichts schreiben will, folgt nun das einzige Märchen, das ich jemals geschrieben habe (bisweilen stereotypisch. Verzeihung):

Als A sprechen lernte

Als die Welt noch nicht alt war, so etwa 3000 Jahre, gab es nur den Gottvater, die Gottmutter. Gemeinsam hatten sie 26 Kinder. Warum gerade 26, weiß ich nicht. Wahrscheinlich deshalb, damit jedes Elternteil auf 13 aufpassen konnte. Damals war die 13 nämlich noch eine Glückszahl, nicht so wie heute.

Die 26 Kinder sahen alle unterschiedlich aus und waren verschieden alt. Das Älteste war A. Obwohl alle 26 exakt gleich groß waren, fühlte sich A als etwas besseres. „Ich bin die Nummer 1, ich bin der Anfang“. Das Zweitälteste nannte sich B und dachte: „Ich bin zwar nicht ganz die Nummer 1, bin aber trotzdem viel größer als die 24, die jünger als ich sind.“ Das Drittälteste namens C dachte sich: „Auch wenn ich nur die Nummer 3 bin, wenigstens habe ich einen Stockerlplatz und bin viel besser als die 23 anderen“. So ging das den ganzen Tag. Jedes Kind fühlte sich besser als die jüngeren und dachte den ganzen Tag daran.

Sie spielten zwar auch zusammen, A war aber immer der König und B die Königin. C war der Prinz und D die Prinzessin. Alle anderen mussten das normale Volk spielen. M und N waren die einzigen, die sich gut verstanden. Sie waren Zwillinge, zwar keine eineiigen, aber zumindest zweieiige. M war nur eine Göttersekunde älter, in Menschensekunden sind das über eine Million. Sie dachten sich: „Wir sind im Mittelfeld. Es gibt einige, die sind größer als wir, und einige, die sind kleiner. Wir sind genau das Mittelmaß, die Waagschale der Götterkinder.“ Beide waren zufrieden damit. Sie waren die Gerechtigkeitsfanatiker unter den 26 ersten Kindern der Welt. Wenn zum Beispiel P böse war, weil B zwar viel älter aber schwächer und weicher war, mussten M und N den Streit schlichten. P durfte dann beim Spielen für einen Tag der oberste General sein, dann war P auch nicht mehr böse.

Beim alltäglichen Spielen gab es immer drei Bettler. X, Y, Z. Die drei waren die jüngsten. Alle blickten auf sie herab, und das obwohl sie gleich groß waren, wie alle anderen. Sie dachten sich: „Keiner mag uns, weil wir so jung und klein sind, obwohl wir ja eigentlich gleich groß sind, wie alle anderen. Wenn wir uns verbünden, können wir einen Bettleraufstand machen, und den König, diesen arroganten A vom Thron werfen“. Jeder der drei dachte sich das. Der Plan war ja auch sehr gut. Welcher König rechnet schon mit einem Bettleraufstand seiner drei jüngsten Geschwister. Der Plan wurde aber nie ausgeführt. Wieso? X, Y, Z hatten zwar den gleichen Plan, wussten aber nicht, dass auch die anderen zwei das Gleiche dachten. Und wieso nicht? Damals konnten die Wesen auf der Erde nämlich noch nicht miteinander reden. Das wollte der Gottvater so. Er sagte zu seiner Gottehefrau: „Es freut mich, dass wir Kinder haben, obwohl es so viele sind. 26 durch 2, also 13 ist zwar eine Glückszahl, trotzdem habe ich viel zu tun. Ich hab nur eine Woche Zeit, eine ganze Welt zu erschaffen. Das heißt, ich muss jeden Tag mindestens 18 Götterstunden arbeiten.“ Wieviel das in normalen Stunden ist, will ich gar nicht wissen. Dann sagte der große Gottvater: „Ich habe nur sechs Stunden Zeit zum Schlafen. Wenn in diesen sechs Stunden alle 26 Kinder herumschreien kann ich nicht schlafen. Dann werde ich meine Arbeit schlecht machen und die Konkurrenzfirma aus Griechenland wird den Auftrag bekommen. Dann sind wir arbeitslos und können unsere Kinder von A-Z nicht mehr ernähren. Sie werden buchstäblich verhungern“. Das sah die Gottmutter ein und versprach ihrem Gottehemann, den Kindern keine Sprache zu geben, damit sie in der Nacht schön leise seien.

Das störte die Kinder gewaltig. Sie schickten A, den Chef, zu ihrem Vater, um eine Beschwerde anzubringen. Da A das aber nur dachte und nichts sagen konnte, war das dem Gottvater ziemlich egal. Er sagte, er habe noch viel zu tun, und wünschte seinem ältesten Sohn noch einen schönen Tag.

A war sehr beleidigt. Er rief eine Versammlung ein, das heißt er musste jedes Geschwisterchen zu einem Platz zerren, denn sagen konnte er es ihnen ja nicht. Als dann nach einer langen Zeit alle 26 versammelt waren, stieg A auf einen Baum und schaute auf seine Brüder und Schwestern. Was sollte er ihnen jetzt sagen, besser gefragt, wie sollte er ihnen das sagen? Als er so hinunterschaute, bemerkte er, dass ein einzelner zwar nichts sagen konnte, wenn aber mehrere nebeneinander stehen, schauen sie aus wie ein Wort.

Wieso A zwar nicht sprechen aber lesen konnte, weiß ich nicht. A ist ein Götterkind, da sollte man nicht auf solchen Kleinigkeiten herumreiten. Wer weiß, vielleicht hat er schon seinen Vater abgelöst und ist jetzt unser neuer Gott. Da will ich ihn besser nicht beleidigen.

Zurück zur Versammlung. M und N mussten gerade einen Streit zwischen D und U schlichten. Beide wollten beim Spielen nämlich Soldat sein. Die beiden stritten so heftig, dass M U zurückhalten musste, und N hielt D zurück. Als A sie betrachtete sah er, dass die vier zusammen aussahen wie das Wort Mund. Er griff in seinen Mund öffnete ihn, uns sagte ganz brüchig: „MM---UU---NN---DD“. Alle waren plötzlich still. A deutete ihnen, sie sollten wie verrückt herumlaufen und sich zu Gruppen zusammenstellen. W, I, E, S, und O verstanden nicht ganz, und sahen A fragend an. A sagte: „WW---II---EE---SS---OO”. Dann waren die fünf so verblüfft, dass sie auch wie die anderen herumrannten. Es war so chaotisch, dass ein Kind immer wieder in ein anderes hineinlief. S, C, und H krachten so intensiv aneinander, dass A sie nicht mehr auseinanderhalten konnte. Leise sagte er: „SCH“. O und E wollten sich das genauer ansehen, wurden aber von K angerempelt und fielen auf S, C und H, die bereits wie ein Haufen am Boden lagen. A sah die beiden, konnte sie aber auch nicht auseinanderhalten. Er sah den Haufen an und sagte: „SCH---Ö...“. N sah das ganze und wollte den Haufen schlichten. Er dachte wohl, sie würden schon wieder streiten. Im Getümmel stolperte er aber und fiel auf den Haufen. A sah das und sagte voller Stolz: „SCH---Ö----N“. Er musste eben erst lernen, wann man welches Wort sagt, und wann ein Wort nicht passt. Das haben die Menschen bis heute übrigens noch nicht gelernt. Oft sagt man etwas Falsches, auch wenn man es nicht will. Dann gibt es meistens Stress.

Einen Tag lang, ihr wisst schon, Göttertag, ging das Herumlaufen so weiter, bis A ein ganzes Buch voller Wörter aufgeschrieben hatte. Es waren aber so viele Wörter, dass ihm jemand beim Schreiben helfen musste. A bat Z um Hilfe, weil er früher immer so gemein zu ihm gewesen war und ihn um Verzeihung bitten wollte. Z half natürlich gerne. Seit diesem Vorfall stehen auf jedem Wörterbuch die Namen der beiden Autoren A-Z.

Als endlich alle Wörter aufgeschrieben waren, es müssen unglaublich viele gewesen sein, lernten alle 26 Kinder sprechen und gingen zu ihren Eltern. Auf dem Weg nach Hause konnten sie gar nicht aufhören zu reden. Sie diskutierten das eine oder andere. Meistens entschuldigten sie sich untereinander und sagten, das wäre gar nicht so gemeint gewesen. M und N konnten sich endlich sagen, wie gern sie sich hatten und freundeten sich mit W an, die fast das gleiche sagte wie M, nur immer umgedreht. B bat P um Karateunterricht und brachte ihm dafür einige Gedichte bei. Das gleiche passierte bei G und K.

A entschuldigte sich bei den anderen, dass er immer so gemein gewesen war. Von diesem Tag an spielten sie nicht mehr „König und Volk“ sondern „Anarcho-syndikalistisches Kollektiv“.
Als die 26 Kinder endlich zu ihrem Vater kamen, hatte der gerade irrsinnig viel zu tun. Er war nämlich gerade dabei, die Tiere zu erschaffen und war hoffnungslos überfordert. Schließlich brauchte jedes Tier einen Namen und langsam gingen dem Gottvater die Ideen aus. Als er seine Kinder kommen hörte, war er sehr überrascht. Er war hauptsächlich deshalb überrascht, weil er sie hören konnte. A ging schnurstracks zum Thron und sagte: „Hallo Vater, wir können jetzt sprechen. Wir sind dir aber nicht böse, weil du es uns nicht beigebracht hast. Es ist gut, dass wir das selber gemacht haben. Kein Erwachsener darf auf dieser gerade erst entstandenen Welt böse Wörter zu seinen Kindern sagen. Ohne die Kinder würde es die Sprache doch nicht geben oder? Ist das nicht absolut logisch?“ Der Gottvater war im Streiten nicht sehr geübt, deshalb wusste er auch nicht, was er sagen sollte. Mit wem hätte er auch streiten sollen? Seine Frau liebte er über alles und seine Kinder hatten früher nie etwas gesagt. Er musste seinem ältesten Sohn Recht geben.

Als die 26 Kinder die vielen Tiere sahen und bemerkten, dass ihr Vater hoffnungslos überfordert war, beschlossen sie, ihm zu helfen. Sie liefen herum und stellten sich in verschiedenen Gruppen zu jedem Tier. Der Gottvater musste nur mitschreiben und war im Handumdrehen fertig.

Seit damals müssen die Kinder dieser Welt erst lernen zu sprechen. Sie sollen immer wieder neue Wörter erfinden, damit Reden niemals langweilig wird. Sie sollen aber auch wissen, dass ohne die Ideen der ersten 26 Kinder niemand sprechen würde und allen ziemlich fad wäre.
Leider will der Gottvater auch heute noch nicht aufhören, die Welt zu beherrschen. Deshalb spielen wir Menschen noch immer „König und Volk“ und sind gemein zueinander. Wenn wir aber alle zusammenhalten, wird A der neue Gottvater und sagen, dass nur mehr „Anarcho-syndikalistisches Kollektiv“ gespielt werden darf. Dann ist kein Mensch besser oder schlechter als der andere, und es ist egal wie alt oder wie groß man ist.


ENDE

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