19 Februar 2008

Organisierte Revolution, Liebe oder Wahnsinn

Vielleicht sollte ich meine bisweilen zwischen Tristesste und gehobener Melancholie springende leiblich wie gesitig höchst durschnittliche Existenz gar nicht zum Dreh- und Angelpunkt dieses Elaborats machen.

Orlow, das wär so einer, mit dem könnte man halt noch was anfangen, so als Leser. Einer mit Geschichte. Einer, dessen Gesicht mehr als gezeichnet ist vom Leben. Vom Leben da draußen. Jede seiner Furche erzählt von der Straße, versifften Güterwaggons.

Orlow ist ja generell eher unbekannt. "Mein Name ist Orlow". Eine Wolke aus Nikotin und billigem Schnaps machte sich im Zugabteil breit. Ich hob meinen Kopf kurz und signalisierte dadurch zwar sehr geringes, aber immerhin Interesse. "Wofür der Name steht?", las er mir jene Frage aus den Augen ab, die dort eigentlich gar nicht zu lesen stand. "O.R.L.O.W", wiederholte er stolz. "Organisierte Revolution Liebe oder Wahnsinn", so die Aufschlüsselung. "Einfach Orlow", hauchte er abschließend hinterher.

Nun kann man sich ja vorstellen, dass man nicht einfach so auf diese Buchstabenkombination kommt. Orlow heißt mit bürgerlichem Namen nämlich Orlowski. Klingelt's? Oder lassen Sie es gar hie und da klingeln? Orlow war nach eigenen Angaben der leibliche Bruder von Porn-Biz-Queen Teresa Orlowski. "Manchmal steckt sie mir Geld zu."

Orlow war mal Manager. Jetzt aber war er Berber und auf dem Weg nach Rumänien, um dort ein bestimmtes Schlafmittel zu kaufen, das in Deutschland verboten ist. Ein Freund leidet nämlich an Krebs und will sich endlich umbringen. Hat er mittlerweile wahrscheinlich schon. "Ich bin kein Penner. Ich bin Berber!"

"Du willst Kohle machen? Dreh doch einfach Videos bei meiner Schwester. Dauernd Sex und dafür auch noch bezahlt werden!" Bis heute bin ich dem Ratschlag nicht gefolgt.

Wir rauchten. Ich zumindest. Orlow kam nach jedem Zug die halbe Lunge raus. Da er aber sicherlich mehr als zwei Züge nahm, gerät die Metapher ordentlich ins Wanken.

Wir sprachen zwischen München und Salzburg viel. Sehr viel. Abschließend bekam ich ein wunderbares Kompliment: "Du bist der einzige Mensch in diesem Zug, der lebt." Ausgenommen wohl nur jene ältere Dame, die Orlow seit Berlin immer wieder Geld für Schnaps gab. Ich verließ den Zug und fuhr weiter nach Graz, um ein sinnloses Studium zu beginnen. Orlow, der Todesherold mit langem Haar, setzte seine Reise nach Rumänien fort.

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