Zu Christoph Schlingensief hatte ich stets ein ambivalentes Verhältnis. Soll ich ihn lustig finden oder gar wichtig? Über die Containerinstallation in Wien, in der Asylbewerber um eine Aufenthaltsgenehmigung wetterten, habe ich stets gelacht. Und wichtig war es auf alle Fälle. Dass linke Demonstranten das "Krone"-Logo entfernten und sich dabei sogar verletzten, war einer der schönsten Momente der in die Jahre gekommenen Aktionskunst.
Aber Schlingensief muss sich nicht mehr auf kleinen Bühnen über die große Theaterwelt brüskieren. Er ist ein Teil davon geworden. Mittlerweile darf er in Bayreuth Wagner inszenieren. Und nicht einmal ein klitzekleiner Skandal kam dabei raus. Kann ein Künstler denn noch aufregen, wenn er an die so genannten großen Bühnen des deutschsprachigen Raums eingeladen wird?
Gestern überhäufte er samt Freunden und Kollegen die Räumlichkeiten des Wiener Burgtheaters. Mit der Angst vor Langeweile, wie sie wahrscheinlich im vorigen Jahr beim mittlerweile werbe- und staatspreistauglichen Hermann Nitsch entstand, besuchte ich die Aufführung von AREA 7.
Es begann mit der Frage nach dem Sinn des Ganzen. Es war laut, überlappende Soundteppiche gaben sich ein Stelldichein mit Jelinek-Videos und einem armseligen Hitler-Imitator, der sogar noch schlechter war als Günter Tolar im ORF-Beschäftigungsprogramm für ehemalige Song Contest Teilnehmer Tohuwabohu. Nichts passierte. Voller Hoffnung begaben wir uns auf die Feststiege, um den so genannten Einführungsvortrag zu hören, denn zu sehen war ob der Menschenmengen nur die eigenartige Perrücke Schlingensiefs. (auf dem Foto leider ohne)
Es wurde geschwafelt. Viele lachten. "Kunst kommt von Kacken" hört man, es wird noch lauter gelacht. Die anwesenden Protagonisten klatschen sich selbst zu. Da musste auch ich lachen. Dann war der Vortrag zu Ende. Man wurde um keinen Deut klüger. Also wieder den beschwerlichen Weg auf die Galerie. Dch dann passierte Großes. Als wir gebückt die Treppen erneut in Angriff nahmen, lief er an uns vorbei. Er Schlingensief. Es blieb gar keine Zeit, mit ihm ein Wort zu wechseln, denn er schien große Probleme zu haben. Außerdem hielt er sich seine Nase zu. Die Verwunderung wurde gleich aufgehoben, als wenige Schritte hinter ihm eine junge Frau hinterherrannte, die unentwegt in ihr Funkgerät brüllte: "Christoph hat ne Allergie!"
Christoph hatte also eine Allergie. Gegen was nur? Gegen die heiligen Hallen des Theaters? Gegen seine furchtbare Perrücke? Oder gar gegen die Kunst von Joseph Beuys? Wir wussten es nicht. Aber die Aufklärung folgte.
Die traurigen Protagonisten betraten die ehemalige Bühne, die sich nun in ein stilisiertes afrikanisches Slum mit allerlei Kunst verwandelt hatte. "Christoph ist krank", klang es mittlerweile schon etwas Besorgnis erregender. "In Afrika hat er sich was geholt", man bekam es mit der Angst. "Er liegt in der Garderobe und kriegt Spritzen", oje oje. Tja, was nun?
Einzige Antwort: Warten. Denn wir hatten zu Beginn kleine grüne Zettelchen erhalten, die uns den Eintritt in den Animatographen erlaubten. Am Programm nachgelesen, "Eintritt mit grünen Zetteln: 21 Uhr. Also, warten. 20 Minuten schauten wir auf die Bühne. Als einfach nichts passieren wollte und sogar der Jelinek-Loop langsam sehr sehr langweilig geworden war, besuchten wir das Buffet. Tranken Wein, rauchten, führten belanglose Telefonate, ärgerten uns über sieben vergeudete EURO. Überlegten, ob wir noch schnell ins Kino gehen sollten. Aber nein, wir hatten ja noch die grünen Zettel, quasi die Eintrittskarte ins Herzstück der Installation. Viele Zigaretten später fanden wir uns in einer Schlange vor dem Bühneneingang. Ja, auch diese Menschen hatten wie wir den grünen Zettel bekommen. Zur Auflockerung huschte immer wieder ein Michael-Jackson-Double kriechend über den Boden. Ein gräßliches Kunstwerk (weißes Tuch mit Kritzeleien) wurde versteigert und ging für 65 EURO an den Hitler-Imitator. Damit einem nicht langweilig wurde, gab es immer wieder Statisten, die einen mit Mehl bewarfen. Nett.
Dann endlich: Der Einlass! Hatten wir schon jegliche Hoffnung aufgegeben, dass wir etwas Anregendes zu sehen bekommen, so ging es nun Schlag auf Schlag. Im ersten Raum, dem "Ur-Klo" wurden die Zuschauer mit Dreck aus den Wänden beworfen. Ein Gast neben mir reinigte sich und fragte: "Na servas. Und das soll lustig sein?" Und ich konnte ihm nur antworten: "Ja, das ist lustig!" Es stank, es war eng, die Farbe an den Kunststoff-Planen war noch nicht getrocknet, man verschwand immer weiter im hoffnungslosen Kunst-Slum. "Ja, ja, atmen sie tief ein, meine Herrschaften, so riecht Kunst", erschallte es aus dem Megaphon des Führers. (Also dem der Ausstellung, nicht dem mit dem hässlichen Bild). Über die Regenbogentreppe gelangte man schließlich auf die Arche Noah, zuvor gab es noch vergammelte Osterhasen und unzählige Videoinstallationen. Ein Erlebnis, unbeschreiblich, aber schön, irgendwie.
Nach Frischluft suchend kamen wir, per Zufall, zum schönsten Teil des ganzen. Ein Chanson-Konzert von Murielle Stadelmann mit Klavierbegleitung auf der Feststiege. Die Diva, im Bademantel gekleidet, entzückend, kokett und stimmgewaltig. Mit leicht feuchten Augen verließen wir die seltsame Stätte und waren schlussendlich doch noch zufrieden. Alles in allem: Versöhnlich.
07 Mai 2006
"Christoph hat ne Allergie"
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